Schnall dich an und schnapp dir deinen Schutzhelm
- Einleitung: Die Illusion der Gewinnbarkeit
- MAD: Die mutmaßlich absurden Dogmen der nuklearen Abschreckung
- Friedensfaktor Atombombe: 70 Jahre kein Armageddon in Europa
- Historische Exkurse: Von Hiroshima bis zum heißen Herbst
- Statistiken, Strategien & Studien: Die Belege hinter dem Bomben-Ballett
- Popkultur-Panoptikum: Vom “Dr. Strangelove” zu “Fallout” und zurück
- Zusammenfassung: Der Schlüssel zum schaurigen Frieden
Einleitung: Die Illusion der Gewinnbarkeit
Stell dir vor, du trittst in einen Raum ein, in dem sich zwei Psychopathen mit Flammenwerfern gegenüberstehen und sich drohend anstarren. Du fragst dich unweigerlich: “Kann einer von denen wirklich gewinnen, wenn beide bereit sind, alles niederzubrennen?” Willkommen in der wunderbaren Welt des nuklearen Kräftemessens.
Seit Erfindung dieser furchterregenden Feuerwerkskörper namens Atomwaffen haben sich Nationen gegenseitig in einer bizarren Balance des Schreckens eingeschlossen. Das Resultat: ein Dauerzustand paranoiden Friedens, also so eine Art ständiger Nervenkrieg ohne heißes Gefecht – im Grunde das, was passiert, wenn du jahrelang im selben Zimmer mit einem hungrigen Godzilla verbringen musst, ohne ihm ein Snickers geben zu dürfen.
Aber Moment! Kann man einen Atomkrieg, dieses ultimative “Finale aller Finals”, überhaupt gewinnen? Nun, die kurze Antwort: Nein, so ziemlich jeder renommierte Forscher, Stratege oder Staatshäuptling, der noch ein paar funktionierende Neuronen im Oberstübchen hat, sagt: “Nope.” Die längere Antwort ist ein hochkomplexer Cocktail aus Drohgebärden, psychologischen Tricks, technologischen Todestänzen und philosophischen Perversionen. Irgendwie hat das Ganze aber – zumindest in Europa – seit über 70 Jahren einen verblüffenden Effekt: Es hat dort einen echten 3. Weltkrieg verhindert. Zumindest zwischen den großen, nuklear bestückten Playern.
Dieses Phänomen läuft unter dem schönen Namen “Mutually Assured Destruction” (MAD), also “Gegenseitig zugesicherte Zerstörung”. Ein Konzept, das so sympathisch klingt wie ein Treffen zwischen Hannibal Lecter und Jack The Ripper in einer dunklen Gasse. Und dennoch: Diese Idee, dass der Gegner deine komplette Vernichtung – und die deiner Katze – mit absoluter Sicherheit auf Knopfdruck herbeiführen kann, hat offensichtlich dazu geführt (vor allem die der Katze), dass niemand den ersten Knopf drückt. Zumindest bislang.
Bis wir einen dieser verrückten Hundemenschen an die Macht lassen.
(Übrigens: Nächste Woche hier: “Alles über Hitlers Hund… “)
MAD: Die mutmaßlich absurden Dogmen der nuklearen Abschreckung
Also, was ist dieses “MAD” genau? Kurze Definition: Es handelt sich um eine strategische Doktrin aus der Zeit des Kalten Krieges, in der sich die beiden Supermächte USA und UdSSR gegenseitig so viele Atomwaffen an den Kopf gehalten haben, dass ein direkter Angriff einen sofortigen nuklearen Gegenschlag provozieren würde. Ein atomares Mexikanisches Patt mit Ergebnissen, die selbst die TacoBell-Toiletten zivilisiert aussehen lassen. Das Ergebnis wäre – tadaa – die Auslöschung beider Seiten. Das Abschreckungskonzept war im Grunde der Elefant im Raum: “Wenn du schießt, schieß ich zurück, und dann sind wir beide gegrillte Enchiladas.”
Das Ganze basiert auf der Annahme, dass kein rational denkender Führer seiner Nation (ähm, “demokratisch gewähltes Staatsoberh…ihr wisst was ich meine) einen Schlag provoziert, der buchstäblich zur Vernichtung seiner eigenen Bevölkerung führen würde. Und siehe da, dieses logische Kartenhaus hat tatsächlich funktioniert. Ein bisschen wie bei “Game of Thrones”, wo die Anwesenheit von Drachen und White Walkers dazu führte, dass die Häuser von Westeros sich lieber zusammenrauften, anstatt sich gegenseitig für immer niederzumetzeln.. Nur mit Atombombern statt Drachen.
Naja, Drachen wären auch ziemlich cool, aber tragen halt keine Raketen mit 1,1 Megatonnen Sprengwirkung.
Im Prinzip ist MAD also wie ein extrem gestörter Sicherheitsgurt, der dafür sorgt, dass niemand mit dem Auto voll Karacho gegen die Wand fährt, weil der Fahrer weiß: der Gurt löst einen Sprengsatz aus, das Auto wird explodieren und ihn selbst in Stücke reißen. Kein netter Gedanke, oder? Aber genau deshalb fasziniert dieses Prinzip seit Jahrzehnten Militärstrategen, Politikwissenschaftler und Philosophen des Grauens (uns).
Friedensfaktor Atombombe: 70 Jahre kein Armageddon in Europa
Wir leben in einer Welt, in der Europa und die Welt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 keinen großen innereuropäischen Krieg zwischen den mächtigsten Staaten mehr erlebt hat. Nach den grausamen Schlachten und Luftangriffen war plötzlich Schluss mit dem ganz großen Durchdrehen auf dem Kontinent. Warum? Klar, es gab den Kalten Krieg, es gab Stellvertreterkriege, es gab Bürgerkriege und Kuba-Krisen und “Polizeiaktionen” (Vietnam) – oder “Russische Militärische Spezialoperationen” – aber es gab keinen totalen nuklearen Schlagabtausch zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt auf europäischem Boden. Ziemlich genau bei Fulda.
Laut zahlreichen Historikern, Experten und Analysten – z. B. gemäß Studien von John Lewis Gaddis oder Berichten der Federation of American Scientists und der Brookings Institution – hat die nukleare Abschreckung tatsächlich einen Beitrag zum “Langen Frieden” in Europa geleistet. Diese These ist nicht unumstritten, aber dennoch weit verbreitet. Wenn zwei Supermächte, die nur den Roten Knopf vom Weltuntergang entfernt sind, sich gegenseitig anstarren, ist es eher unklug, einfach so einen Krieg anzuzetteln. Irgendwie verständlich, oder?
Das bedeutet natürlich nicht, dass die Nuklearwaffen für Frieden, Liebe und Blumen im Haar stehen. Vielmehr ist es ein krasser Friedensdeal: “Ich tu dir nicht weh, weil ich dich sonst vernichte – und du mich auch.” Also eher ein echter Psycho-Pakt, der aber anscheinend den Kontinent von einem weiteren allesvernichtenden Inferno verschont hat. Selbst wenn es keinen Beauty-Wettbewerb für Friedenskonzepte gewinnen würde, hat es doch funktioniert. Zumindest bislang. Nobelpreis für die Minuteman-Rakete! (Hey, Arafat hat(te) auch einen…)
Historische Exkurse: Von Hiroshima bis zum heißen Herbst
Um das besser zu verstehen, lohnt sich ein kurzer Blick in die Geschichte. In die strahlenden Großstädte Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 – als die Menschheit sich selbst bewies, dass sie das Werkzeug für ihre eigene Auslöschung geschaffen hatte – genau dort setzte die Supermächte-Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion ein. Beide Seiten häuften ein atomares Arsenal an, das groß genug war, den Planeten mehrfach ausreichend gründlich in Schutt und Asche zu legen. Das klingt wie ein Superhelden-Comic-Plot (Superman IV, um genau zu sein), ist aber bittere Realität.
In den 1950er und 1960er Jahren war es besonders heftig: Wasserstoffbomben, Interkontinentalraketen, U-Boot-gestützte Sprengköpfe – ein Arsenal, runter auf die nukleare Bazooka.. In den 1960er Jahren kulminierte das Ganze in der Kubakrise, dem wohl bekanntesten Fast-schon-Ende-der-Welt-Moment. Doch dank kühler Köpfe – naja, kühler im Vergleich zu Curtis E. LeMay – wurde der große rote Knopf nicht gedrückt.
In Europa – ja, dem Europa, in dem es plötzlich keine Kriege mehr gab – sorgte die Stationierung von Mittelstreckenraketen in den 1980er Jahren, der “Heiße Herbst”, wieder für Unmut. Doch auch da blieb der große Knall aus. Das Nebeneinander von NATO und Warschauer Pakt, zwei bewaffneten Blöcken mit Atomwaffen, blieb letztlich ein frostiges Starren ohne Zündung. Ob das jetzt wirklich an den Bomben lag oder an diplomatischen Bemühungen, an wirtschaftlichen Zwängen oder schlicht an Glück? Vermutlich eine wilde Mischung. Doch die Anwesenheit des ultimativen Totschlag-Arguments “Atom” war immer mit im Raum.
Statistiken, Strategien & Studien: Die Belege hinter dem Bomben-Ballett
Man mag sagen: “Schön und gut, aber wo sind die Belege?” Nun, es ist ja nicht gerade leicht, Statistiken darüber zu führen, wie viele Atomkriege man NICHT geführt hat.
Stell dir vor, du hättest eine Statistik darüber, wie viele Male dein Auto dich nicht überfahren hat, während du unter ihm an den Bremsen herumgeschraubt hast. Doch es gibt viele Studien, die darauf hindeuten, dass das Prinzip der Abschreckung wirkt. Laut der RAND Corporation, einem US-Think-Tank, war die nukleare Abschreckung einer der zentralen Gründe, warum der Kalte Krieg nicht heiß wurde. Das ist sozusagen das diplomatische Equivalent zu “Weil wir beide Uzis haben, ist niemand so richtig scharf darauf, zuerst zu schießen.”
Strategisch gesehen setzt MAD auf den Faktor Rationalität. Man muss also im spieltheoretischen Ansatz glauben, dass die anderen Spieler rational handeln. Das ist, als ob man darauf vertraut, dass der Hulk nicht smasht solange man ihn nicht reizt. Wenn alle sich einig sind, dass ein Angriff zur eigenen Vernichtung führt, dann ist jegliches kriegerisches Handeln Wahnsinn.
Ironischerweise heißt das Konzept ja auch “MAD” – Zufall? Vielleicht nicht.
Wichtige Punkte:
- Abschreckung statt Angriff: Atomwaffen dienen primär zur Abschreckung, nicht um einen Krieg zu gewinnen. Wer zuerst schießt, weiß, dass er selbst vernichtet wird.
- Gleichgewicht des Schreckens: Beide Seiten haben genug Feuerkraft, um auch nach einem Erstschlag des Gegners zurückzuschlagen.
- Erwartungsmanagement: Während des Kalten Krieges entwickelten beide Seiten Doktrinen zur Eskalation (z. B. “Flexible Response”, “Massive Retaliation”), um die Möglichkeit eines Atomkrieges kalkulierbar erscheinen zu lassen
- Krisenmanagement: Gipfeltreffen, Rüstungskontrollverträge, rote Telefonleitungen zwischen den Staatschefs – all das zielte darauf ab, Missverständnisse zu vermeiden und die Hemmschwelle zur Gewalt zu erhöhen.
All diese Faktoren trugen dazu bei, dass Europa, der einstige Sprengstoffkeller der Weltkriege, nicht in einem nuklearen Inferno endete. Keine Stadt wurde zu leuchtendem Glas verarbeitet, keine Armee in atomare Asche verwandelt.
So gruselig die Drohung auch war, so effektiv wirkte sie offenbar als Bremsklotz. Und ja, die Gegenargumente existieren: Vielleicht waren es wirtschaftliche Verflechtung, Bündnispolitik, diplomatische Meisterleistungen oder einfach Glück. Doch ohne die nukleare Dimension wäre die Rechnung vielleicht anders ausgefallen – und nur weil die Linken so dringend keine Orden vergeben wollen, dass sie den Gewinn des Kalten Krieges plötzlich den Kapitalisten zuzuschreiben(!), bedeutet das noch garnichts. Was Politiker fürs Volk tun, wenn sie nicht von multiplen Megatonnen auf ihren Wohnsitz bedroht werden, sieht man in ihrer Reaktion auf andere Problematiken.
Popkultur-Panoptikum: Vom “Dr. Strangelove” zu “Fallout” und zurück
Die Popkultur hat dieses Thema natürlich nicht unberührt gelassen. Von Filmen über Bücher bis hin zu Videospielen – die ultimative Waffe des Untergangs ist ein Dauerbrenner in unseren fiktionalen Welten. Warum? Weil es so herrlich absurd und furchterregend zugleich ist.
“Dr. Strangelove oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben”: Der Kult-Klassiker von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1964 ist eine ziemlich schwarze Satire über die nukleare Abschreckung. Ein durchgeknallter General, eine versehentliche Nuklearmission und ein irres Wettrennen gegen den Weltuntergang. Das Ganze zeigt, wie nahe Wahnsinn und Strategie beieinander liegen.
“Watchmen”: In der berühmten Graphic Novel von Alan Moore (und der Filmadaption von Zack Snyder) macht Ozymandias eine pseudogeniale Nummer: Er inszeniert eine gigantische Katastrophe, um die Supermächte zu einen, bevor sie sich gegenseitig atomar vernichten. Ein bizarres Beispiel dafür, wie aus Verzweiflung vor der Apokalypse radikale “Lösungen” erdacht werden.
Die “Fallout”-Serie (VTK hat berichtet): In der Gaming-Welt stellt “Fallout” eine postapokalyptische Realität dar, in der die Atomkriege tatsächlich stattgefunden haben. Hier ist die Menschheit in Bunkern verkrochen, die Welt eine radioaktive Wüste, und der Spieler durchstöbert Ruinen menschlicher Arroganz. Ein Mahnmal dafür, was passiert, wenn die MAD-Logik versagt.
“Godzilla”: Das japanische Kultmonster ist eine popkulturelle Metapher für nukleare Zerstörung. Godzilla entstand als Symbol für die Schrecken der Atomwaffen nach Hiroshima und Nagasaki. Wenn ein riesiges Echsenmonster Tokio in Schutt legt, erinnert das an die reale Zerstörungskraft der Bombe.
“Marvel’s The Avengers”: Denk an die Chitauri-Invasion aus dem 2012er Film. Die Lösung der US-Regierung? Eine Nuklearwaffe auf Manhattan werfen. Iron Man & Co. verhindern die Katastrophe. Hier wird die nukleare Option als dummes, verzweifeltes Druckmittel inszeniert. Immerhin, wer braucht MAD, wenn man Hulk und Thor hat?
In der Popkultur ist die nukleare Abschreckung immer wieder ein Thema: mal als Witz, mal als grauenvolle Drohung, mal als dystopisches “Was-wäre-wenn”. Diese Geschichten fragen sich: Wie irre ist es, Frieden auf die Angst vor dem totalen Untergang zu gründen?
Der soziopolitische Schatten: Warum Waffendepots statt Woodstock?
Während also MAD und das atomare Arsenal den Kontinent vor einem Flächenbrand bewahrten, haben sie gleichzeitig einen soziopolitischen Schatten geworfen. Milliarden wurden und werden in Atomwaffen investiert, statt in Bildung, Kultur oder Gesundheit. Man mag argumentieren, dass ohne die Abschreckung der ganze Laden in Flammen aufgegangen wäre, aber schön ist es dennoch nicht. Statt ein Woodstock-Festival der Völkerverständigung zu feiern, hat man schicke Bunker gebaut und Sprengköpfe poliert.
Die Frage, ob MAD wirklich der Garant für den Frieden ist oder nur ein absurder Nebeneffekt der Angst, bleibt umstritten. Der britische Historiker und Militarismusforscher Lawrence Freedman (King’s College London – Lawrence Freedman) argumentiert, dass nukleare Abschreckung zwar wichtig war, aber nicht alleinige Ursache für den Frieden in Europa. Wirtschaftliche Verflechtungen, europäische Integration, die gemeinsame Angst vor einem neuen Weltkrieg und gesellschaftliche Lernprozesse nach 1945 spielten ebenfalls eine Rolle.
Doch wenn wir ehrlich sind: Die schiere Existenz der Bomben war wie ein Damoklesschwert über dem Kontinent. Ein Schwert, das niemals fallen durfte. Jeder Staatschef wusste: Wenn er es zulässt, dass die Fetzen fliegen, fliegen auch seine eigenen Fetzen. Und so blieb es beim gegenseitigen Belauern.
Lieber lebend durch Leere? Der philosophische Flickflack
Philosophisch betrachtet ist das Ganze ein Hochseilakt. Wir hängen da, zwischen Leben und Tod, balancieren über dem Abgrund der nuklearen Vernichtung. Die Frage ist: Ist das ein “guter” Frieden? Ist es moralisch haltbar, Frieden nur dadurch zu garantieren, dass man mit dem absoluten Untergang droht? Die Philosophen streiten. Realpolitiker zucken mit den Schultern: “Better safe than sorry.”
Ethisch ist MAD ziemlich hässlich. Man droht mit der Vernichtung unschuldiger Millionen. Diese Drohung mag nur theoretisch sein, doch sie ist Teil der realen Politik. Ein schmutziger Trick, um den Gegner von irrationalen Handlungen abzuhalten. Da fragt man sich, ob wir nicht schon längst in einem kosmischen Irrenhaus gelandet sind, in dem Intelligenz und Wahnsinn denselben Whiskey an der Bar schlürfen.
Die Zahlen sprechen: Nukleare Nullrunde?
Wie viele Atomwaffen gibt es eigentlich? Heute sind es zwar weniger als zur Hochzeit des Kalten Krieges, aber immer noch Tausende. Laut Bulletin of the Atomic Scientists oder dem Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) besitzen die USA und Russland zusammen den Löwenanteil des globalen Nukleararsenals. Länder wie Frankreich, Großbritannien, China, Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea mischen auch mit. Und alle wissen: Ein gezielter Atomschlag eines Staates gegen einen anderen hätte mit großer Wahrscheinlichkeit eine Kettenreaktion zur Folge.
Dieses Geflecht aus Arsenalen gleicht einem riesigen Minenfeld. Du trittst einmal drauf und der ganze Kontinent fliegt in die Luft. Dank der Logik von MAD traut sich aber keiner, den Fuß wirklich auf das Feld zu setzen. Das ist gleichzeitig ein Sieg der Vernunft und eine Kapitulation vor dem Wahnsinn.
Fakt oder Fiktion? Die ewige Debatte um Alternativen
Nun könnte man argumentieren, dass der Frieden in Europa auch ohne Atomwaffen hätte erreicht werden können. Vielleicht wären die Europäischen Gemeinschaften, später die EU, auch so ein Garant für Stabilität gewesen. Vielleicht hätte die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs alleine gereicht, um alle Vernunft walten zu lassen. Wir werden es nie wissen, denn die Historie ist ein einmaliger Pfad ohne Rückfahrkarte. Die Atombombe war da, und somit war auch ihr Einfluss nicht wegzudenken.
Gleichzeitig befeuern Atomwaffen die Unsicherheit. Wenn eine Seite eine neue Technologie entwickelt, die Raketen noch schneller, präziser oder unauffindbarer macht, gerät das Gleichgewicht ins Wanken. Dann folgt Aufrüstung, Drohungen – ein ewiges Spiel der Angstmacherei. Eine Garantie für dauerhaften Frieden ist MAD nicht, sie ist nur ein schräger Pakt des Nichtangriffs, solange keiner die Nerven verliert.
Von der Apokalypse zum Alltag: Atomwaffen im 21. Jahrhundert
Nachdem der Kalte Krieg in den 1990ern endete, stellte sich die Frage: Brauchen wir noch MAD? Die Russland-NATO-Beziehungen schwanken seither zwischen vorsichtiger Zusammenarbeit und tiefem Misstrauen. In neueren Konflikten, etwa um die Ukraine, wird immer mal wieder die nukleare Karte gezückt, zumindest rhetorisch. Europa hat sich nach 1990 größtenteils sicher gefühlt, doch die Atomwaffen sind weiterhin da.
In Asien, im Nahen Osten und anderswo spielen Atomwaffen nach wie vor eine große Rolle. Die Idee der Abschreckung lebt weiter, auch wenn alle wissen, dass ein Atomkrieg nicht gewinnbar ist. Nordkorea testet Raketen, Indien und Pakistan halten sich gegenseitig in Schach. China modernisiert sein Arsenal, die USA und Russland halten ihre Nuklearraketen im Bereitschaftsstatus. Wer sagt da, dass MAD Schnee von gestern ist?
Ewiger Irrsinn: Nukleare Rüstungsdynamik
Ein weiterer Aspekt: Die Technologie schreitet voran. Hyperschallraketen, Cyberangriffe auf Nuklearanlagen, künstliche Intelligenz in Frühwarnsystemen – all das wirft neue Fragen auf. Wenn Computer über den Abschuss von Atomwaffen entscheiden können, wie sicher ist dann MAD noch? Werden wir auf ein “Terminator”-Szenario zusteuern, in dem Skynet die Menschheit ausradiert, weil ein Algorithmus zu dem Schluss kommt, dass der beste Weg, einen Angriff zu verhindern, darin besteht, selbst einen durchzuführen?
Die Diskussion verlagert sich: Kann man eine Nuklearmacht durch fortschrittliche Raketenabwehrsysteme de-facto “entwaffnen”? Mit perfekten Abwehrsystemen – so sie denn jemals existierten – könnte eine Seite theoretisch die Vergeltung des Gegners verhindern und damit die MAD-Logik auf den Kopf stellen. Bislang ist das aber reine Sci-Fi. Perfekter Schutz vor einer Massenvernichtungswelle ist ein Märchen. Somit bleibt MAD für absehbare Zeit in Kraft.
Nukleare Romantik? Eher nihilistische Notlösung
Wer jetzt denkt: “Hey, vielleicht ist MAD gar nicht so übel”, sollte sich an die Grundprämisse erinnern: Frieden durch die ständige Drohung der gegenseitigen Auslöschung. Das ist kein hippiesker Blumenkranz-Frieden, sondern ein Friedhofsfrieden, bei dem alle Angst haben, den ersten Spatenstich zu machen. Man könnte sagen, MAD ist die nukleare Version einer giftigen Beziehung, in der beide Partner Waffen an den Köpfen des anderen halten und so ein gewisses “Gleichgewicht” wahren. Unangenehm, aber immerhin haut keiner ab.
Für Europa war MAD offenkundig ein Faktor, um den Kalten Krieg kalt zu halten. Die amerikanischen und sowjetischen Streitkräfte standen sich an Grenzen und Mauern gegenüber, aber niemand wagte den großen Wurf. Die Spannung war hoch, aber das Armageddon blieb aus. Man könnte so zynisch sein und sagen, dass MAD der schrecklichste Friedensengel ist, den man sich vorstellen kann – aber eben doch ein Engel, kein Dämon. Zumindest solange niemand den Finger zucken lässt.
Würdigung der Wunderwaffe wider Willen
Es ist wohl kein Zufall, dass viele Militäranalysten nach dem Ende des Kalten Krieges hofften, die Atombomben würden allmählich verschwinden. Doch die Realität sieht anders aus. Die “Nukleare Moderne” kennt keine Pause, es ist ein permanenter Zustand latenter Alarmbereitschaft. Die Illusion der Gewinnbarkeit ist längst zerplatzt. Wer heute noch glaubt, man könne einen Atomkrieg mit vertretbaren Verlusten “gewinnen”, ist entweder ein Comic-Schurke oder hat die letzten 70 Jahre Fakten aus dem Fenster geworfen. Studien, Analysen und die einfache Logik sprechen Bände: Ein großer Atomkrieg ist gleichbedeutend mit der Vernichtung unserer Zivilisation (ICAN – International Campaign to Abolish Nuclear Weapons), aber: den gabs ja garnicht.
Doch gerade diese schreckliche Wahrheit hat Europa 70 Jahre lang vor der Hölle bewahrt. Ironisch? Ja. Absurder als ein Monty-Python-Sketch? Definitiv. Aber eben doch die Realität. Wir leben in einer Welt, in der wir auf einer Pulverfass-Party tanzen, und die Organisatoren versichern uns: “Keine Sorge, keiner traut sich, das Feuerzeug anzuzünden.”
Der Schlüssel zum schaurigen Frieden
Also, um die Eingangsfrage zu beantworten: Kann man einen Atomkrieg gewinnen? Nein.
Man kann ihn höchstens verhindern, indem man den Gegner davon überzeugt, dass ein Angriff Selbstmord bedeutet. Das ist der Kern von MAD.
Und Europa hatte das Glück, Jahrzehnte lang auf genau diesem Konstrukt zu balancieren. Dass es funktionierte sagt uns: Waffen, die so schrecklich sind, dass niemand sie einsetzt, haben vielleicht mehr zur Friedenserhaltung beigetragen als alle Blumenkinder und Friedensverträge zusammen.
Entdecke mehr von VTK MAGAZINE
Subscribe to get the latest posts sent to your email.