Der heiße Stoff des 21. Jahrhunderts ist Schwarz – genauer: jenes Ultra-Schwarz, das Photonen schluckt wie ein hungriger Leviathan. Seit Forscher 2014 erstmals zeigten, dass man Licht quasi ausradieren kann, liefern sich Labore rund um den Globus ein gnadenloses Rennen, bei dem jedes weitere Promille Reflexionsminderung als Triumph gefeiert wird. In diesem Text sezieren wir den High-Speed-Höllenritt vom ersten Kohlenstoffnanoröhrchen bis zur Mikrokavität.
Startschuss: Wenn Licht plötzlich verschwindet

Alles begann, als die britische Firma Surrey NanoSystems 2014 Vantablack präsentierte – ein vertikaler Wald aus Kohlenstoffnanoröhren, der 99,965 % des sichtbaren Lichts verschluckt und den Begriff „Mattlack“ augenblicklich ins 19. Jahrhundert verbannte. Eine Handvoll Millimeter dieser Beschichtung ließ Objekte wirken, als hätte Photoshop das Loch-Werkzeug in die Realität gestanzt.
Doch kaum war der Stoff geboren, schnappte sich Star-Künstler Anish Kapoor die exklusiven Kunstrechte. Sein Deal mit den Briten löste einen Sturm der Empörung aus, den die Guardian-Autorin Brigid Delaney in einem Beitrag über Kapoor und das „schwärzeste Schwarz“ dokumentierte. Schwarz wurde plötzlich nicht nur wissenschaftliches, sondern moralisches Terrain.
Messen, was fast nichts reflektiert
- Total Hemispherical Reflection (THR) – Richtungsunabhängig, Goldstandard für Astro-Optik.
- Spectral Absorptance (350–2500 nm) – Zeigt Breitband-Fähigkeit; wichtig für Wärmemanagement.
- Abrieb- und Vakuum-Zyklen – Simulieren Raketenstarts; NASA lehnt Lacke ab, die nach dem Start glitzern.
- Touch-Proof-Test – Seit 2024 Pflicht: eine Beschichtung darf nach Streicheln nicht glänzen.
Tiefschwarz-Pioniere und ihre Geheimrezepturen
3.1 Vantablack – das Ur-Monstrum

Mit chemischer Gasphasenabscheidung wuchern Nanoröhren senkrecht wie Bäume aus der Substratoberfläche. Jede Röhre ist ein Photonen-Grab; gemeinsam bilden sie einen lichtlosen Dschungel.
3.2 Black 3.0 – Pop-Kultur-Punk gegen Pigment-Patriarchen

Als Reaktion auf Kapoors Exklusivität startete Künstler Stuart Semple sein Kickstarter-Projekt „Black 3.0 – Schwarzes Loch in der Flasche“. Über 10 000 Unterstützer finanzierten eine Acrylfarbe, die 98-99 % des Lichtes frisst, aus irgendeinem Grund nach Kaffee duftet und mit dem augenzwinkernden Warnhinweis „Nicht an Kapoor verkaufen“ ausgeliefert wird.
3.3 Singularity Black – NASA-Grade für das Atelier
Das Massachusetts-Labor NanoLab entwickelte Singularity Black ursprünglich, um Streulicht in NASA-Instrumenten zu killen. Künstler Jason Chase tunkte prompt einen Gummibären hinein; Resultat: eine visuelle Singularität auf Zuckerbasis. Mit noch weniger Konturen als Vitamine.
3.4 Musou Black – Nihon-Noir für Jedermann

Japanische Entwickler von Koyo Orient stellten 2020 die pinselbare Wasser-Acryl-Formel Musou Black vor. Bis zu 99,4 % Lichtabsorption für rund 50 € pro 100 ml – Goth-Interior-Designer jubeln, Goths nicht so sehr: der Stuff ist teuer.
3.5 Omni-Microcavity – die 2024er Schallmauer
Ein chinesisch-europäisches Team laserte Kupferpfeiler und goss sie als Negativform in eine strukturelle Beschichtung. Ergebnis: THR 0,0002, berührsicher, breitbandig. Die Publikation findet sich bei Optica unter „Ultrablack surface with omnidirectional high absorption“. Klingt anstrengend.
Höllisches Schwarz trifft Hochglanz-PR – der Kultur-Clinch
Kapoor erklärt in Interviews, man könne im Vantablack „verschwinden wie in einem Schwarzen Loch“. Währenddessen verkauft Semple Pigmente „für alle außer Kapoor“ und YouTuber lassen 3D-gedruckte Statuen in Musou Black scheinbar zweidimensional werden. Dieser Pop-Culture-Brawl generiert Hashtags schneller, als Surrey NanoSystems Patente anmelden kann.
Kilometerstein 2019 – MIT schiebt die Messlatte
MIT-Forscher um Brian Wardle wuchsen vertikal ausgerichtete CNTs auf chlorgeäderter Alu-Folie. Das Resultat, vorgestellt in MIT News, schluckt 99,995 % Licht – zehnmal dunkler als Vantablack. Für das Kunstprojekt „The Redemption of Vanity“ verschwand damit ein 2-Mio-$-Diamant direkt vor der Wall-Street-Beleuchtung
Schwärze im All – NASA schlägt zurück
Seit 2015 testet die US-Weltraumbehörde mit „piBlack“ einen CNT-Anstrich, der von UV bis Fern-IR mehr als 99,5 % Licht absorbiert. Details liefert ein NASA-Bericht (PDF) über Atomic Layer Deposition auf CNT-Strukturen. Neben Teleskop-Baffles sollen demnächst Kugel-Koronagraphen im Orbit mit dem Stoff bestrichen werden – Stray-Light-Vernichtung auf Clerk-Maxwell-Niveau.
Straßen-Showcar: BMW X6 VBx2
Auf der IAA 2019 rollte ein BMW X6, lackiert mit Vantablack VBx2, ins Rampenlicht – oder besser gesagt: ins Rampen-Nichts. Nur LED-Konturlinien verrieten, dass hier überhaupt ein Auto stand. Der PR-Stunt bewies, dass Ultra-Black längst die Haustür des Mainstreams erreicht hat.
Anwendungen – wo die Schwärze ihre Siege einfährt
- Weltraumoptik – piBlack reduziert Streulicht um Faktor 100 und ermöglicht Planetenschatten-Messungen ohne komplexe Baffle-Mazze.
- Automotive – Der BMW X6-Prototyp macht Designkanten unsichtbar und verblüfft Messebesucher.
- Kunst & Design – Black-3.0-bemalte Skulpturen wirken wie Lochkarten im Raum; Musou-beschichtete Fotosets ersparen Photoshop-Masken.
- Stealth – CNT-Lacke senken Radar-Querschnitt & IR-Signatur, berichten Technik-Portale wie ExtremeTech.
- Solar – Schwarzes Silizium mit Nanokegeln boostet Absorption, wie Stanford-Forschende zeigen.
Risiken & Nebenwirkungen
- Wärme – Ultra-Black kann Oberflächen gut aufheizen.
- Preis – CVD-CNT schlägt mit > 600 US$ pro Quadratzoll zu Buche.
- Empfindlichkeit – Acryl-Schwärze verkratzt leicht; Mikrokratzer = Lichtlecks.
- Exportkontrollen – ITAR kann Pigmentdosen an der Grenze festnageln.
Warum Schwarz eine exportbeschränkte Waffe ist?!
Schon mal ein Gruftimädchen gesehen?
Die nächsten Meter im Schatten-Sprint
- Sub-0,0001 THR-Materialien – Lasergeätzte Metaoberflächen plus plasmonische Layer.
- Spritzguss-CNT-Komposite – Ultra-Black im Smartphone-Gehäuse ab Werk.
- Adaptive Nano-Schwärze – Schaltbare Pixel, die von 1 % auf 0,001 % Reflexion blenden.
Das Scoreboard der Schwärze – wer führt?
Jahr | Kandidat | Kerntechnik | Lichtabsorption | Herausragender Moment |
---|---|---|---|---|
2014 | Vantablack | CVD-CNT | 99,965 % | setzt den Startpunkt des Rennens |
2017 | Singularity Black | CNT-Dispersion | ≈ 99 % | NASA-Spin-off wird frei verkäuflich |
2019 | MIT CNT-Foil | CNT auf Alu | 99,995 % | „Redemption of Vanity“ lässt Diamant verschwinden |
2019 | Black 3.0 | Acryl | 98-99 % | Crowdfunding gegen Kapoor sammelt 478000 £ |
2020 | Musou Black | Wasser-Acryl | 99,4 % | Baumarkt-taugliche Ultra-Farbe landet weltweit in Hobby-Werkstätten |
2024 | Omni-Microcavity | Mikrokavität | THR < 0,0002 | berührsicher & omnidirektional – neuer Spitzenreiter |
Ziellinie? Längst verschluckt
Der Wettlauf um das schwärzeste Schwarz ist ein endloser 100-Meter-Sprint, dessen Ziellinie sich mit jedem Rekord um exakt jene Nachkommastelle verschiebt, die gerade geknackt wurde. Forschende, Künstler und Konzerne bleiben in Dauerbewegung, weil der Sieg nur ein Augenblick dauert, bevor das nächste Labor eine noch lichtlosere Formulierung vorstellt.

Mit anderen Worten: Holt euch Musou für die Wohnwand, Black 3.0 für den 3D-Druck und verfolgt gespannt, wann das nächste Paper die 0,0001-Marke pulverisiert. Bis dahin: Pflegt die Dunkelheit – sie ist die glänzendste Bühne für den Fortschritt.
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