Früher stand an jeder zweiten Ecke eine Telefonzelle, heute stehen da E-Scooter-Kadaver und Pfandflaschen. Der Marder-Schützenpanzer war mal das Rückgrat der westdeutschen Landesverteidigung, heute hängt er in Rockensußra wie Dönerfleisch am Spieß und wird in Scheiben geschnitten.
Kurz gesagt: Telefonzellen und Marder-Panzer haben denselben Karriereweg:
Popkultureller Hintergrund-Held → technisch überholt → politisch unpraktisch → Endstation Schrottplatz
Und genau diese Endstationen gucken wir uns heute an: Orte, an denen die Zivilisation ihre Vergangenheit stapelt, wie ihr ungelesene Bücher auf dem Nachttisch. Alles, was mal sinnvoll war und jetzt als rostiger Reminder rumliegt, dass Fortschritt vor allem eins ist: ein Logistikproblem für alte Hardware. Zieht euch die neonfarbene Warnweste über, wir betreten das Endlager der ausrangierten Dinge.
Rockensußra: Der Panzerfriedhof, auf dem Marder in Scheiben enden
Schützenpanzer, Schweißbrenner und Satellitenüberwachung

Im thüringischen Dorf Rockensußra (ca. 300 Einwohner, mehr Panzerwracks als Leute) steht Europas einzige NATO-zertifizierte Panzerverschrottungsanlage: Battle Tank Dismantling.
Hier werden seit Anfang der 1990er-Jahre Panzer demilitarisiert, zerschnitten und als Stahl wiedergeboren. Laut Berichten wurden dort bis 2016 annähernd 16.000 Militärfahrzeuge aus mehreren europäischen Armeen verschrottet, darunter rund 1.800 Kampfpanzer und tausende weitere Ketten- und Radfahrzeuge.
Dinge, die hier passieren:
- Marder, Leopard & Co. werden entmunitioniert, entkernt und in definierte Segmente zerteilt.
- Erst verschwinden Hoheitszeichen und sensible Teile, dann kommen Schweißbrenner & Schneidböcke.
- Das Gelände wird permanent überwacht, u. a. auch aus dem All, weil niemand Bock auf „Second-Hand-Panzer aus Hintertürverkauf“ hat.
Warum ist das spannend?
- Vertrag sagt: weniger Panzer.
- Politik sagt: Abrüstung wirkt super auf Pressefotos.
- Rockensußra sagt: „Kein Problem, wir schneiden euch das Problem in 30-Tonnen-Scheiben.“
Und irgendwo zwischen Hoheitsabzeichen-Abschleifen und Marder-Zerlegen merkt man:
Der Unterschied zwischen „Hightech-Waffe“ und „Altmetall“ sind ein paar Jahre, ein Vertrag und ein Typ mit Schneidbrenner.
AMARG in Arizona: Der Flugzeugfriedhof der Supermacht
3.000 Flugzeuge, 2.600 Acres: ein Parkhaus für ausgediente Luftarmeen

Willkommen in Tucson, Arizona, beim 309th Aerospace Maintenance and Regeneration Group (AMARG), niedlich „The Boneyard“ genannt. Hier liegen auf rund 2.600 Acres (über 10 km²) etwa 3.000 Flugzeuge aller US-Teilstreitkräfte und Behörden in verschiedenen Stadien zwischen „Macht vielleicht nochmal Sinn“ und „Schraubenlieferant“.
AMARG ist:
- Lager für militärische Jets, Transporter, Hubschrauber & Co.
- Ersatzteillager mit einem jährlichen Rückfluss von Bauteilen im Wert von rund 500 Millionen Dollar an Streitkräfte und Behörden.
- Zwischenwelt: Ein Teil der Maschinen kehrt tatsächlich in den aktiven Dienst zurück, andere werden verschrottet oder verkauft.
Die Wüste von Arizona ist dabei nicht nur hübsche Fallout-Kulisse, sondern praktisch:
Harzer Boden, wenig Regen, kaum Korrosion. Perfekt für Flugzeuge im Pause-Modus.
Fun-Faktor:
AMARG taucht regelmäßig als Setting auf, wenn Spezialeinheiten, Autobots oder Geheimdienste einen „diskreten“ Ort brauchen, um an Luftfahrzeuge zu kommen, ohne im Baumarkt nachzufragen. Offiziell heißt das dann „Lagerfläche“. Unoffiziell: Endgegner-Level für Luftfahrtnostalgiker.
Pinal Airpark: Die Rente der Zivilflugzeuge
Wo eure Ex-Urlaubsjets auf besseres Wetter warten

Ein paar Wüstentäler weiter liegt der Pinal Airpark bei Marana, Arizona. Auch hier: Wüste, Asphalt, hunderte parkende Flieger – aber diesmal überwiegend zivile Airliner.
Laut Pinal Airpark und Luftfahrtportalen dient der Platz als großer kommerzieller Aircraft Storage & MRO-Hub (Maintenance, Repair & Overhaul) für Airlines weltweit.
Dazu gehören u. a.:
- eingemottete Jets von Airlines wie Cathay Pacific, Delta & Co.
- Maschinen, die auf Umbau für Frachtbetrieb warten
- Flugzeuge, die gerade nicht ins Flugprogramm passen (Pandemie lässt grüßen)
Warum fühlt sich das an wie ein Flugzeug-Sanatorium?
- Die Jets werden nicht einfach geparkt und vergessen.
- Sie kriegen Konservierungsmaßnahmen, regelmäßige Checks, Triebwerks-Läufe.
- Einige kehren in den aktiven Dienst zurück oder werden umgebaut, andere dienen als Ersatzteilspender.
Wenn AMARG der militärische Ruhestand ist, dann ist Pinal der Business-Class-Ableger für Zivilflieger: Parkplatz, Spa, gelegentliche Organentnahme.
Teruel Airport in Spanien: Europas größter Flugzeugfriedhof
Die Parklücke, in der A380 und A340 auf ihr zweites Leben warten
Wechsel nach Europa: In Aragón steht der Flughafen Teruel (PLATA – Plataforma Aeroportuaria de Teruel), offiziell ein MRO-Standort, praktisch aber Europas größter Flugzeugfriedhof für Airliner.
Der Standort:
- liegt in einer trockenen Hochebene mit über 240 Sonnentagen im Jahr
- bietet langfristige Parkflächen für mehrere hundert Flugzeuge
- dient vorrangig als Plattform für Storage, Wartung und Recycling von Airlinern
Berichte sprechen von Kapazitäten für 250 bis 400 Flugzeuge, womit Teruel als größter Aircraft Boneyard Europas gilt.
Hier stehen bzw. standen u. a.:
- ausrangierte oder eingemottete A340-600
- geparkte A380 großer Airlines
- diverse Mittelstreckenjets, die zwischen „abgestellt“ und „nachgerüstet“ pendeln
Teruel ist im Prinzip das europäische Äquivalent von Pinal und AMARG, nur mit Spanisch als Menüsprache. Und wenn man sich die Reihen von Jets vor der Bergkulisse anschaut, sieht das aus, als hätte jemand den Flugzeug-Tab in einem Strategiespiel minimiert, um sich erstmal ums Landheer zu kümmern.
Red Telephone Box Cemetery: Der Friedhof der roten Ikonen
Carlton Miniott und die Untoten des analogen Telefonnetzes

Zurück zur Telefonzelle. In Carlton Miniott in North Yorkshire steht der Red Telephone Box Cemetery: ein Feld voller ausrangierter roter Telefonboxen, aufgereiht wie nostalgische NPCs, die auf ihren Sidequest warten.
Der Ort wird u. a. als „Red Telephone Box Cemetery“ beschrieben und beherbergt dutzende der ikonischen K6-Boxen, wie sie einst ganz Großbritannien gepflastert haben.
Die Boxen:
- wurden nach und nach aus Städten und Dörfern abgebaut
- landen hier im Zwischenlager
- werden teilweise restauriert und als Deko, Mini-Bibliothek oder private Telefonkabine verkauft
Parallel dazu versucht ein 89-jähriger Bewohner in Norfolk, die letzte Telefonzelle seines Dorfes zu retten, während landesweit die Zahl der Boxen von rund 100.000 in den 1990ern auf etwa 14.000 geschrumpft ist.
Kurz:
Telefonzellen sind jetzt das, was Vinyl mit Spotify wurde: Lifestyle-Requisit mit leichtem Geruch von Verfall.
Und dieser Friedhof ist der backstage-Bereich, in dem die Boxen stehen, bevor sie als „quirky British Heritage“ im Instagram-Hintergrund von irgendwem auftauchen.
Autofriedhof Gürbetal / Kaufdorf: Schweizer Schrott-Sakrament
Über 1.000 Autowracks, 400 Motorräder und ein sehr geduldiger Förster-Albtraum

Im Schweizer Kanton Bern, in der Gemeinde Kaufdorf, stand der legendäre Historische Autofriedhof Gürbetal. Auf einem Teilgelände des Betriebs Messerli Autoverwertung lagen über 1.000 Autowracks und etwa 400 Motorräder, vor allem aus den 1930er bis 1970er Jahren.
Der Ablauf war simpel:
- Walter Messerli kaufte ab 1933 ausgediente Fahrzeuge, baute verwertbare Teile aus und stellte die Karossen auf das Grundstück.
- Jahrzehntelang wuchs so eine Sammlung aus Alltagsautos, Exoten, Sonderkarosserien und Nutzfahrzeugen.
- Nachbarn beschwerten sich, Messerli pflanzte Bäume als Sichtschutz. Problem elegant verschoben, nicht gelöst.
Später attestierten Museen wie das Verkehrshaus in Luzern und das Historische Museum Bern dem Platz kulturhistorischen Wert – quasi Freilicht-Archiv der Schweizer Mobilitätsgeschichte.
Aber:
Umweltrecht schlägt Nostalgie. Nach langen Auseinandersetzungen musste der Friedhof 2009/2010 geräumt werden, ein Teil der Fahrzeuge wurde versteigert, der Rest verschrottet.
Warum ist das wichtig?
Weil hier sichtbar wird, was passiert, wenn eine Gesellschaft ihre Geschichte nicht zentral archiviert, sondern bei Typen lagert, die sagen:
„Ich seh das wie ein Puzzle, da darf kein Teil fehlen.“
Willkommen im analogen Archiv ohne Brandschutzordnung.
Train Graveyard von Uyuni: Züge im Niemandsland
Steampunk-Knochenhaufen am Rand der Salzwüste

In Bolivien, am Rand der Stadt Uyuni, liegt der Train Graveyard (Cementerio de Trenes). Alte Dampfloks und Waggons, die man hier abgestellt hat, als Boliviens Traum von einem großen Eisenbahnnetz implodiert ist.
Der Ort:
- liegt auf einer trostlosen Ebene am Rand der Stadt
- beherbergt dutzende alte Lokomotiven und Waggons aus der Zeit, als Uyuni ein Eisenbahnknoten werden sollte
- ist heute Pflichtprogramm für alle, die vor dem Besuch der Salar de Uyuni nochmal „Industrial Decay“ live sehen wollen
Die Züge wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von britischen Ingenieuren betrieben, Boliviens Eisenbahnprojekt scheiterte jedoch an Wirtschaftskrisen und geopolitischem Chaos. Die Fahrzeuge blieben einfach stehen – und rosten bis heute vor sich hin.
Ästhetik-Faktor:
Dieser Ort ist wie eine Sidequest in einem Rollenspiel:
- Loot: Null
- Fotomotive: Überall
- Botschaft: „Alles, was ihr baut, bleibt irgendwo liegen.“
Ghost Fleet am James River: Geisterflotte im Halbschlaf
Wenn Schiffe nicht sterben, sondern in Virginia parken
An der US-Ostküste, auf dem James River bei Fort Eustis (Virginia), liegt die sogenannte Ghost Fleet: offiziell James River Reserve Fleet (JRRF), Teil der National Defense Reserve Fleet der USA.
Historie in Kurzform:
- Seit 1919 dient der Standort als Ankerplatz für außer Dienst gestellte Schiffe.
- Nach dem Zweiten Weltkrieg lagen hier hunderte Schiffe, u. a. Liberty- und Victory-Schiffe. In den 1950ern lagen in allen Reserveflotten zusammen über 2.000 Schiffe, davon über 800 im James River.
- Ein Teil wurde für Korea, Vietnam und spätere Programme reaktiviert, andere blieben einfach liegen, bis sich das Problem durch Rost, Politik oder Schneidbrenner erledigte.
Heute sind nur noch wenige Schiffe im JRRF, aber der Begriff „Ghost Fleet“ hat sich festgefressen: inklusive der leicht morbiden Vorstellung, dass hier die Geister früherer Konvois rumlungern und den aktuellen Logistikproblemen zusehen.
Warum passt das zum Thema?
Weil die Ghost Fleet demonstriert:
- Schiffe sind zu groß, zu teuer und zu kompliziert, um sie einfach „wegzuwerfen“.
- Also werden sie geparkt, überwacht und gelegentlich wiederentdeckt, wenn mal jemand eine billige Plattform braucht.
Ein bisschen so, wie wenn ihr alte Laptops im Schrank stapelt „für alle Fälle“ – nur in 10.000-Tonnen.
9. Alang in Indien: Das größte Schiffsgrab der Welt
Tanker, Containerschiffe und Kreuzfahrer im Demontage-Marathon

Wenn wir über Orte reden, an denen ausrangierte Dinge massenhaft sterben, darf Alang nicht fehlen. Der Alang Ship Breaking Yard am Golf von Khambhat in Gujarat gilt als größter Schiffs-Abwrackplatz der Welt und recycelt einen erheblichen Teil der weltweiten ausgemusterten Frachtschiffe.
Hard Facts:
- rund 14 km Küstenlinie
- über 180 Abwrackplätze (Yards)
- Kapazität von etwa 4,5 Millionen Tonnen Leichtverdrängung (LDT)
- in Spitzenjahren wurden über 400 Schiffe pro Jahr zerlegt, zuletzt lagen die Zahlen deutlich niedriger, aber immer noch dreistellig
Was hier passiert:
- Riesentanker, Containerschiffe, Fähr- und Passagierschiffe werden bei Flut auf den Strand gefahren.
- Bei Ebbe zerlegen Arbeiter die Stahlgiganten mit Handwerkzeugen Schicht für Schicht.
- Aus den Schiffen werden Stahl, Maschinen, Möbel, Kabel, sogar Waschbecken und Türen recycelt und weiterverkauft.
Der Haken:
Alang ist nicht nur größter Schiffs-Friedhof, sondern auch Negativbeispiel für Umwelt- und Arbeitsschutz. Berichte sprechen von:
- gefährlichen Arbeitsbedingungen
- Umweltverschmutzung durch Öl, Asbest und Chemikalien
Kurz: das Endgame des globalen Schiffsverkehrs, wo sich Profit und menschliche Kosten gegenseitig in den Schraubstock nehmen.
10. Chernobyl-Fahrzeugfriedhof: Radioaktive Resteverwertung
Wenn der Schrott selbst noch strahlt

Nach der Reaktorkatastrophe von 1986 brauchte man rund um Tschernobyl alles, was fährt: Feuerwehrwagen, Busse, Militärfahrzeuge, Hubschrauber, Bulldozer. Viele davon wurden nach dem Einsatz aufgrund der massiven Kontamination auf speziellen Fahrzeugfriedhöfen im Sperrgebiet gesammelt.
Ein wichtiger Standort war der Fahrzeugfriedhof bei Rozsokha (auch Rassokha geschrieben) innerhalb der 30-km-Zone:
- Hier lagen über Jahre hinweg hunderte Lastwagen, Panzerfahrzeuge, Busse und Hubschrauber, die bei der Liquidation der Katastrophe eingesetzt wurden.
- Viele dieser Fahrzeuge waren stark kontaminiert und wurden später zerschnitten, verschrottet oder in andere Einrichtungen wie das radioaktive Abfallzentrum Buriakivka überführt.
Der Punkt hier ist brutal simpel:
Selbst wenn du das größte Fahrzeugfriedhof-Ästhetik-Fetischproblem hast – an diesen Schrott willst du nicht näher ran.
Die Fahrzeuge erzählen von der brachialen Improvisation, mit der die Katastrophe damals bekämpft wurde – und davon, dass manche Dinge so gefährlich sind, dass selbst ihr Schrott noch zum Problem wird.
Was verbindet all diese Orte?
Was haben Telefonzellen-Friedhöfe, Panzerfriedhöfe, Flugzeugboneyards, Schiffs- und Zugfriedhöfe gemeinsam?
1. Sie sind die physischen Archive des Fortschritts
Ob Panzer in Rockensußra oder A380 in Teruel: Sie sind Beweise dafür, dass Systeme sich ändern, aber Hardware bleibt.
2. Sie sind Logistik-Lösungen mit existentiellem Beigeschmack
Diese Orte sind vor allem eins: Problemlösung auf Fläche.
- Kein Platz in Häfen? → Reserveflotte.
- Kein Bedarf an alten Jets? → Boneyard in der Wüste.
- Kein Nutzen mehr für analoge Telefonboxen? → Telefonzellen-Friedhof und Sekundärmarkt.
Die Romantik kommt erst, wenn der Rost Zeit hatte.
Wir leben im Zeitalter der Dinge, die keinen Platz mehr haben
Telefonzellen und Marder-Panzer sind nur zwei Beispiele in einem viel größeren Muster:
Diese Orte sind die Rückseite des Fortschrittsprospekts.
Vorne: Innovation, Digitalisierung, Effizienz.
Hinten: „Kann zu leichten bis schweren Ansammlungen von Schrott führen.“
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