Eine Versammlung von Engeln
Von Dennis J. Balagtas
Ãœbersetzt von Vicky Gabriel
Diana Peterson, Selbstmordopfer, 36 Jahre alt, erschien vor einer Reihe von elf Engeln. Diese waren zuständig für die Führung der Akten. Als sie so vor ihnen stand, bat man sie höflich, sich zu setzen. Der Hauptengel sagte: »Meine Liebe, wir müssen für die Akten ein paar wichtige Dinge wissen. Als Erstes: Warum wähltest du, dein Leben früher als geplant zu beenden? Und zweitens möchten wir dich bitten, den Vertrag für dein nächstes Leben vorzubereiten und zu entscheiden, wohin du als nächstes gehen möchtest.«
Diana saß da und fühlte sich irgendwie unreal. »Ich dachte, daß ich in den Himmel komme, wenn ich sterbe«, sagte sie.
»Oh nein«, antwortete ein Engel. »Das ist wirklich nur ein Mythos. Es gibt so viele Dinge, die du lernen mußt; wie kannst du annehmen, daß du all dies in nur einem Leben schaffen könntest? Nein, wir geben dir eine ganze Reihe Chancen, die Dinge zu lernen, die du begreifen willst. Wir haben dich hierher kommen lassen, damit du wählen kannst, wann du gehen und in welche Lebensumstände du kommen willst.«
Diana schnappte nach Luft. Dies war etwas völlig anderes als alles, was man sie jemals gelehrt hatte. »Also … ääh … Ich denke, dann erzähle ich euch besser, woher ich komme. Ihr müßt wissen, ich wuchs bei sehr lieblosen Eltern auf. Sie kümmerten sich nicht wirklich um mich oder sprachen mit mir. Normalerweise waren sie mit ihrem eigenen Leben und ihren Freunden beschäftigt. Ich habe mich nicht wirklich von ihnen unterstützt gefühlt. Sie haben mich nie an sich gedrückt. In der Tat habe ich sie nie sich in meiner Gegenwart umarmen oder küssen gesehen. Ich nehme an, dies ist der Grund, warum ich mir selbst gegenüber so kalt und distanziert bin.
Außerdem war mein Berufsleben so ausweglos. Ich wußte einfach nicht, was ich werden sollte und versuchte mich in mehreren Jobs. Ich schien zwar genug Fähigkeiten für eine ganz bestimmte Tätigkeit zu haben, aber die wurde nicht sehr gut bezahlt. Das Geld war immer knapp, und ich mußte doch zwei Kinder unterstützen. Mein Traumberuf war immer der einer Schauspielerin. Ich hatte auch nicht viele Freunde, nur einen oder zwei. Oft sind sie einfach gegangen, und das warÆs. Und ich sehe ein wenig sonderbar aus. Manche Leute sagen, ich sei hübsch, aber ich glaube es reicht nicht, um mit den meisten Menschen mitzuhalten. Wißt ihr, ich bin nicht wie die gewöhnlichen Menschen, da ich eine Menge ungewöhnlicher Ideen habe und meine Handlungsweisen nicht wirklich normal sind. Ich mag es, mit mir allein zu sein und nachzudenken. Ich mag es, zu spielen. Ihr seht also, ich passe da nicht wirklich hin.
Dazu kommt, daß ich oft krank war. Ich verfügte nicht über allzu viel Energie, war immer müde und mußte viel Zeit im Bett verbringen. Es gab Momente, in denen ich sehr gereizt auf meine Kinder reagierte; sie kamen immer in mein Zimmer und unterbrachen mich, wenn ich beim Nachdenken war. Ich glaube, ich war keine gute Mutter, denn ich hatte keinen Spaß daran, Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Oft wußte ich nicht mal, wo sie gerade waren. Ich denke auch nicht wirklich, daß sie sich aus mir etwas machten. Ich bin es auch müde, eine unwichtige Kleinigkeit zu sein, von der die Leute alles haben können, was sie wollen. Ich hatte immer Angst davor, æneinÆ zu sagen und fühlte mich dann, als ob ich ein schlechter Mensch sei. So bin ich all dessen müde geworden. Ich dachte: æIch will hier nicht mehr leben. Ich gebe es einfach auf, geh in den Himmel und vielleicht kann ich mich dort ausruhen.Æ Doch das scheint nicht wahr zu sein. Nachdem, was ihr mir gesagt habt, muß ich wieder dort hingehen.« Diana machte eine Atempause.
Einer der Engel sagte laut: »Ja, es trifft zu, daß du zurückgehen mußt; doch bevor du gehst, kannst du wählen, was immer du für dich und dein nächstes Leben willst. Da wir nun wissen, warum du dich umgebracht hast und nun hier bist, möchtest du vielleicht einen neuen Vertrag mit uns machen.«
»Du liebe Zeit, ich glaube, darüber habe ich nie nachgedacht. Ich kannte eine Menge Spanier, die aus großen, einander liebenden Familien kamen. Sie wirkten immer so vergnügt und großzügig. Ich glaube, wenn ich schon zurückgehen muß, dann würde ich gern in einer spanischen Familie leben, vielleicht in Kalifornien. Manchmal habe ich auch schwarze Familien gesehen, die so liebevoll und süß wirkten. Das einzige Problem ist, daß ich nicht unter Vorurteilen leiden möchte, wenn ich mich für eine solche Familie entscheide. In Ordnung, laßt mich sehen û ich möchte nicht allzu hart arbeiten müssen. Entweder möchte ich einen reichen Mann heiraten oder gewandt genug sein, um selbst eine Menge Geld zu verdienen. Ich möchte an den Punkt kommen, wo ich nicht mehr arbeiten muß, wenn ich es nicht will und meinen Beruf wirklich lieben kann. Ich bin es so müde, immer in einer Sackgasse zu sitzen.
Ich möchte kreativ sein und das Gefühl haben, durch meinen Beruf etwas zur Welt beitragen zu können. Ich wäre gerne eine nette Persönlichkeit mit vielen Freunden, die von allen gemocht wird. Trotzdem hätte ich gerne Zeit für mich, wenn ich das will; und ich möchte hübsch und schön sein und eine gute Figur haben. Man sollte mich mögen, aber nicht nur wegen meines Aussehens. Ich möchte ebenso von schönem Inneren wie auch Äußeren sein, so daß jeder von mir sagt: æSie ist eine wundervolle Person.Æ Ich glaube, das würde mir sehr gefallen. Ich hätte auch gern eine gute, robuste Gesundheit und möchte mehr mit Leuten zusammen sein. Oh, da fällt mir noch etwas ein: Ich würde gerne die Menschen lieben. Es scheint mir jetzt, als wenn ich mich nie um andere gekümmert hätte, und ich möchte wirklich für andere da sein.
Das Nächste ist, daß ich entweder eine liebevolle Mutter sein oder für eine Zeit lang gar keine Kinder haben möchte. Vielleicht wäre das eine gute Idee, bis ich gelernt habe, eine bessere Mutter zu werden. Wenn ich all die Dinge tue, für die ich mich jetzt entschieden habe, werde ich wohl auch nicht genug Zeit für Kinder haben.
Als Letztes möchte ich mich behaupten können. Ich möchte tun, was ich will, ohne daß jemand etwas dagegen hat oder mich dafür verurteilt. Ich möchte frei sein, zu kommen und zu gehen, wie ich will.«
»Gut, Diana, das klingt nach einem recht eindrucksvollen Vertrag«, sagte der Engel, »ich denke, wir können all das für dich arrangieren. Ich habe nur noch eine Frage zum Vertrag. Was möchtest du in deinem nächsten Leben vollenden?«
»Oh«, antwortete Diana. »Meinst du damit, daß ich selbst entscheiden muß, was ich vollenden will?«
»Natürlich«, sagte der Engel, »das ist es, worum es hier geht.«
»Also gut, laßt mich überlegen … die einzige Sache, die mir einfällt, ist zu verstehen, worum es bei der Liebe eigentlich geht. Ich denke, das würde ich gerne zum Abschluß bringen. Nein, eigentlich möchte ich lieber meine Selbstliebe vervollkommnen und lernen, wie ich mir eigenständig genug Freude, Geld und Sicherheit geben kann, so daß ich nicht mehr den Wunsch haben müßte, zu sterben.«
»Das klingt hervorragend«, meinte ein anderer Engel. »Ich denke, wir haben nun einen guten Vertrag. In Ordnung, hier ist eine Kopie für dich; die andere geben wir zu unseren Akten.«
»Wißt ihr was?« sagte Diana, »einen Moment lang dachte ich, ich käme in die Hölle, weil ich mich selbst umgebracht habe. Jetzt erzählt ihr mir, daß ich nicht in den Himmel komme. Heißt das, ich muß doch in die Hölle?«
»Du meine Güte«, antwortete der Engel, »wo hast du nur diese Geschichten gehört? Es gibt keinen Ort, der dich bestraft. Wir glauben nicht an Bestrafung und ebensowenig an Belohnung. Wir glauben nur an die Liebe. Darüber hinaus wissen wir, daß Himmel und Hölle in dir drin sind. Wenn du auf eine bestimmte Art denkst, fühlt es sich an wie im Himmel; doch wenn du dein Leben auf eine andere Weise betrachtest û ich bin sicher, du selbst kannst uns sagen, daß es wie die Hölle ist.«
»Das ist wahr«, bestätigte Diana. »Ich habe nie auf diese Weise darüber nachgedacht. Um festzustellen, ob man im Himmel oder in der Hölle ist, muß man sich bewußt machen, wie man die Dinge sieht. Nur ich selbst kann mich bestrafen oder belohnen.«
»Ach ja, vielleicht möchtest du etwas über deinen letzten Vertrag zu erfahren. Du könntest es sehr interessant finden,« sagte ein weiterer Engel.
»Ich hätte nicht gedacht, daß es da einen alten Vertrag gibt.«
»Ja, wir würden die gerne etwas über den Vertrag erzählen, den du abgeschlossen hast, bevor du in das Leben von Diana Peterson gingst. Zuvor starbst du 1926 in Italien. Du hattest elf Kinder, und es gab viel harte Arbeit. Du hattest eine sehr große, dicht geschlossene Familie, viele Verwandte und immer gut und genug zu essen. Du warst eine volle, robuste und energiegeladene Frau. Du batest darum, in deinem nächsten Leben Eltern zu bekommen, die dir die Möglichkeit geben sollten, dich als geschickte Persönlichkeit zu erfahren, die dir Freiheit lassen und dir darin vertrauen, für dich selbst sorgen zu können. Sie sollten dich gehen lassen, wohin du willst, ohne dir immer über die Schulter zu sehen.
Außerdem wolltest du einen Männerberuf haben. Du wolltest Zeit zum Träumen, Nachdenken und Kreativsein. Du wünschtest wenige Menschen um dich herum, damit du Raum zum Atmen hast û nur ein paar Freunde und eine kleine Familie. Du wolltest groß und dünn sein, um nicht laufend zu hören, was für eine schöne Frau, was für eine gute Mutter oder nette Person du seist. Du wolltest einzigartig sein und herausragen, um û vielleicht wie die Frauen in den Filmen û andersartige Dinge zu tun. Du sagtest auch, daß du û da du mit all den Kindern, dem Kochen und Sauberhalten des Haushaltes so hart zu arbeiten hattest û dieses Mal nicht so viel Arbeit zu tun haben wolltest und schlugst vor, vielleicht ein wenig krank sein zu können, so wie die Kameliendame. Du wolltest allein sein können und wünschtest dir wenige oder gar keine Kinder, um auszuruhen. Wenn du überhaupt Kinder wolltest, sollten sie unabhängig sein. Auch wünschtest du dir, etwas damenhafter und ruhiger zu werden, weil du zuvor eine recht lautstarke Persönlichkeit hattest. Dies waren die Punkte deines letzten Vertrages.«
Diana war erstaunt. Zwei kleine Tränen liefen ihre Wangen hinunter. »Mir scheint, ich habe bekommen, was ich wollte. Eltern, die mir Freiraum gaben, mehr Ruhe, nicht so harte Arbeit. Ich war recht kreativ und habe sogar manchmal in Schauspielstücken mitgewirkt. Ich bin so verwirrt û ich habe mich umgebracht, weil ich bekam, was ich wollte!« Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
»Nein, nein«, sagte der jüngste Engel freundlich. »Es war die Art, wie du über dich in deinem Leben dachtest, nämlich als unglückliche Versagerin, die dich den Tod wählen ließ.«
»Du kannst alle von dir gewünschten Veränderungen haben«, meinte ein anderer Engel und klopfte Diana auf die Schulter. »Du bist nicht auf ewig verdammt. Du kannst solange immer wieder zurückgehen, bis du gelernt hast, daß nicht das zählt, was du hast, sondern was du bist. Wenn du dich selbst und andere wirklich lieben kannst, bist du im Himmel.«
Plötzlich wurde alles schwarz. Das Nächste, was Diana hörte, war die Stimme des Arztes: »Es ist ein wunderschönes kleines Mädchen, Mrs. Sanchez.« Der Arzt war überrascht, weil das Mädchen nicht weinte…