Detroit in Flammen: Die fiktive Kulisse zweier Rache-Epen
Dunkle Gassen, von Regen glänzendes Kopfsteinpflaster und überall flackernde Neonlichter, die im Takt der Angst pulsieren. Zerfallende Backsteingebäude kauern sich wie verfaulte Zähne am Straßenrand, während aus Kellern und Hinterhöfen eine Mischung aus Rock und klirrenden Flaschen schallt. Graffitis, die mehr Botschaft als Kunst sind, beschmieren jede Mauer. Über allem wachen zerschlissene Gargoyles aus bröckelndem Stein, als hätten sie sich nach jahrhundertelangen Albträumen hierher verirrt. Detroit lebt und stirbt im Sekundentakt – und in der Nacht, da Eric Draven ermordet wird, scheint sie vollends in ihrem eigenen Schatten zu ersticken.
In “Robocop” hingegen ist Detroit zwar ebenfalls düster, aber hier atmet die Stadt eher modrigen Konzernsmog. Die Skyline hebt sich wie eine bedrohliche Hightech-Silhouette gegen den schmutzig-orangen Himmel ab, in dem vereinzelt Helikopter kreisen. Zerfetzte Werbeplakate verkünden die Ankunft der Zukunft und bilden einen grotesken Kontrast zu den zerstörten Vorstadthäusern, wo Mülltonnen brennen. Auf den Straßen flitzen gepanzerte Streifenwagen hin und her, Sirenen heulen in Dauerschleife, während in jeder dunklen Ecke ein weiterer Drogendeal über die Bühne geht. Metall und Beton sind die beherrschenden Elemente, und überall leckt die Gier nach Profit an den Fundamenten der Stadt.
Beide Detroits, jene in “The Crow” und jene in “Robocop,” spiegeln auf ihre jeweilige Art ein und dasselbe Thema: eine Stadt im Delirium, in der Hoffnung fast ausschließlich übernatürlich sein kann. In “The Crow” ist es die geisterhafte Präsenz eines von Krähen begleiteten Rächers. In “Robocop” ist es der technologische Messias aus Titan, Draht und Mensch. Beide Helden legen ihre Feinde in Schutt und Asche, während die Stadt selbst immer nur gerade so am Leben bleibt.
The Crow vs. Robocop – eine dunkle Offenbarung
The Crow (1994) – geregnet generiert von Alex Proyas und basierend auf dem Comic von James O’Barr – gilt als der ultimative Gothic-Revenge-Film. Wer ihn nicht sah, bekam seine Grufti-Lizenz entzogen.
Mit Eric Draven haben wir einen unverkennbaren Racheengel, der dank einer mystischen Krähe buchstäblich von den Toten aufersteht, um seine Mörder ausfindig zu machen. Der Film strotzt vor nächtlichen Neonlichtern, dystopischem Wolkenbruch und melancholischen Gitarrenriffs, so als habe man das komplette Spät-80er- und Früh-90er-Jahre-Musikvideo-Portfolio in eine dunkle Suppe gekippt, um daraus ein visuelles Meisterwerk zu brauen.
Kein anderer Film in der Geschichte der Menschheit hat heterosexuelle Männer dazu bewogen, so viel Make-up zu tragen. Lacrimosa-Konzerte waren deshalb in den 90ern nicht nur akustisch unaushaltbar.
Nun fragt ihr euch vielleicht: Was zum Teufel hat das mit “Robocop” (1987) am Hut?
Tatsächlich eine ganze Menge: Alex Murphy, seines Zeichens Cop und Workaholic, wird genauso kaltlächelnd von fiesen Kriminellen hingerichtet wie Eric Draven und seine Geliebte. Auch er kommt zurück – nur eben als hochgerüsteter Kaffeeautomat auf zwei Beinen. Wo Eric Draven sich die Augen mit Schuhcreme schwarz umrandet, trägt Murphy den blechernen Visor. Wo Eric Draven mit der Gitarre schwingend auf Rache sinnt, macht Murphy den Weg mit der Full-Auto Beretta und Direktive 3 frei. Beide Helden vereint eines: Sie sind die tragischen Sinnbilder eines filmischen Phönix-aus-der-Asche-Motivs. Ja, das mit dem Vogel – nicht der permanent vor der Pleite stehende Rentner-Nachtclub.
Was die Filme verbindet: Tragödie, Wiederauferstehung und Rache
Tödliche Tragödie
Beide Handlungen starten mit einem ultimativem Überfall, der den Helden alles nimmt: Murphy wird von einer Gang in Stücke geschossen, Eric Draven wird brutal ermordet und seine Geliebte geschändet. Das ist das Fundament der Geschichte: Man muss den Hauptcharakter erst zerbrechen, damit er – von göttlicher (oder technologischer) Gnade versehen – wiederaufgebaut werden kann.
Wiederauferstehung
Bei “Robocop” ist es die Konzern-Forschung, die Alex Murphy zu einem blechernen Rächer macht. In “The Crow” ist es eine mystische Krähe, die Eric Draven den Fluch oder Segen der Unsterblichkeit verleiht, sodass er zurückkehrt und jene Verbrechen mit unheiligem Unwesen bestraft.
Rache
Der Plot kann nur funktionieren, wenn der Protagonist nach seiner Wiederauferstehung den bösen Wichten nachstellt. Beim einen sind es fiese Corporate-Typen und Koksnasen, beim anderen eine runtergerockte Straßengang voller grotesker.. Koksnasen.
Eskalation im Film: Wie ein Konzept zigfach geklont wird
Hollywood ist berühmt-berüchtigt für sein “funktioniert-einmal-funktioniert-immer”-Credo. Genauso wie es jedes Jahr mindestens einen Weihnachtsfilm mit abgelutschten Rom-Com-Elementen gibt, darf auch die “Ich bin tot, komme zurück und nehme Rache!”-Nummer im Repertoire nicht fehlen. Das Grundgerüst ist stets:
- Held wird brutal getötet oder schwer verletzt.
- Held erhält wundersame (oder hochmoderne) Wiedergeburt.
- Held beseitigt rachelüstern jegliches Ungeziefer, das ihm das angetan hat.
- Finale: Heldenepos mündet in Gerechtigkeit, Explosionen oder einer schaurigen Grabesszene.
Es ist vermutlich so alt wie die Gilgamesch-Epen. Doch uns macht’s immer noch Spaß, weil wir instinktiv mitfühlen: Wir wollen, dass fiese Mörder ihre Strafe erhalten, am liebsten in einer spektakulären Endschlacht oder in einer Menge an Narben, die jede Krankenkasse in den Bankrott treiben würde. Und genau deswegen funktioniert ein Film wie “The Crow” oder “Robocop” immer wieder
Das Plot-Patent: Neue Kostüme, alter Kern
“The Crow” ist nicht allein darin, ein altes Muster mit neuer dunkler Farbe zu bestreichen. Die Filmgeschichte ist im Grunde eine gigantische Theaterbühne, auf der wenige Geschichten in immer neuem Gewand auftreten.
1. Avatar – “Pocahontas” im Weltall
James Camerons “Avatar” ist ein bildgewaltiges CGI-Spektakel voller leuchtender Wälder, Flugsaurier und Schamanentrommeln. Doch wenn man den ganzen 3D-Schnickschnack kurz zur Seite schiebt, bleibt die klassische Geschichte: Ein Außenseiter (Jake Sully) wird bei den “Eingeborenen” (Na’vi) eingeschleust, lernt deren Kultur, verliebt sich, kämpft am Ende gegen die eigenen Leute und wird zum Helden für das Volk, das er ursprünglich infiltrieren sollte.
Klingelt da was, Pocahontas?! Exakt: “Der mit dem Wolf tanzt”.
Gleiche Schablone, anderer Kontext. Statt bizarrer Indigener-Begnungen und Büffel-Jagden füllen nun Drachenvögel und Leuchtbäume die Leinwand. Nicht zu vergessen: Die Marine-Kampfanzüge sind eigentlich nur das Sci-Fi-Gegenstück zu Bleichgesichtern mit Kanonen. Fragt mal Tom Cruise in “The Last Samurai” ,wie es ist, mit Katanas gegen Gatling-Kanonen zu kämpfen.
2. John Wick – Der Punisher mit Haustier-Bonus
“John Wick” hat das klassische Rachemotiv: Gangster töten Wicks Hund (und klauen sein verdammtes Auto), was für Wick mindestens so schlimm ist wie der Tod seiner geliebten Frau, die mit dem Doggo um die Kurve kam. Daraufhin entfesselt er ein infernales Gemetzel aus Kugeln, Körpern und Kopfschüssen.
Klingt neu? Nicht wirklich: Schaut man sich Marvels “The Punisher” an, erkennt man den ähnlichen Kern. Dort schlachten Gangster die Familie von Frank Castle ab, woraufhin er zum eiskalten Rächer wird. Der besondere Twist bei John Wick ist das Haustier, das stellvertretend für die Familie steht – und die hochstilisierte Action mit choreografischen Paukenschlägen.
Stirb Langsam – “Kevin allein zu Haus” für Actionfans
“Die Hard” hat Bruce Willis als John McClane, der im falschen Moment am falschen Ort landet und sich mit einer Bande von Terroristen herumschlagen muss. Sein Trick: Er kennt das Gebäude, er hat keine Schuhe, er ist ein Cop, aber irgendwie ist er dennoch total over the top.
Und was ist “Home Alone”? Ein kleiner Junge wird alleine zu Hause gelassen, während Einbrecher kommen, und er verteidigt das Haus mit sadistischer Kreativität, die John Rambo anerkennend Nicken lässt. Klar, “Die Hard” ist deutlich brutaler, “Home Alone” bunter. Aber das Grundrezept – Einzelgänger wehrt Eindringlinge ab, nutzt die Umgebung, entpuppt sich als gerissener Fuchs – ist identisch. Der Rest ist Kinderlachen statt R-Rating.
Gibts aber auch ganz ohne Kinder:
Underworld – “Romeo und Julia” zwischen Vampiren und Werwölfen
Eine Vampirin verliebt sich in einen Werwolf. Ein uraltes Blutfehden-Regime, das diese Liebe verbietet. Klingt verdächtig bekannt, nur dass Shakespeare vermutlich weinend in einer Gruft rotiert, während Kate Beckinsale sich in Latexfetisch-Kluft und Blaustich-Optik durch Werwolf-Orgien ballert. Ach, was reden wir: Bill hätte wahrscheinlich nichts anderes geschrieben, wenn es damals schon glänzende Frauen-Popos gegeben hätte. “Underworld” ist im Kern eine Love-Story zweier verfeindeter Clans – also “Romeo und Julia” mit Reißzähnen und Latexfummeln. Das hätten die auch im VTK HQ filmen können.
Warm Bodies
Noch ein Shakespeare-Klon gefällig? “Warm Bodies“, in dem ein Zombie sich in ein menschliches Mädchen verliebt. Sie heißt Julie, er nennt sich R, was .. ach komm, hör auf.
Romeo Must Die – “Romeo und Julia” mit Kung-Fu-Fäusten
Ne?! Jet Li als Martial-Arts-Ass, das sich in die Tochter eines rivalisierenden Gangsterbosses verliebt? “Romeo Must Die” schnappt sich Shakespeares Geschichte zweier verfeindeter Familien und bla bla: Hip-Hop-Soundtrack, chinesische Mafia, schwarze Gangs – doch am Ende wartet wieder das ewig alte Motiv: Liebe über Grenzen hinweg.
Pacific Rim – “Godzilla” trifft “Transformers”
Gigantische Monster, genannt Kaijus (der japanische Fachbegriff für “gigantische Monster, die aus dem Meer steigen”), steigen aus dem Meer. Riesige Mech-Roboter, die Jaeger, kämpfen dagegen an. Subtil? Keineswegs. Erinnert aber stark an “Godzilla,” in dem ein Riesenmonster Städte verwüstet, gekreuzt mit “Transformers,” wo mechanische Titanen durch Häuserschluchten trampeln. “Pacific Rim” ist die Neuinterpretation großer Kreaturen, die sich spektakulär auf die Fresse hauen – und wir lieben es, weil es in Neonfarben glüht und uns an unsere “Godzilla-vs.-Mechagodzilla”-Kindheitsträume erinnert. Und auf keinen Fall die gesamte Story von “Neongenesis Evangelion” mit westlichen Darstellern ist:
Matrix – “Alice im Wunderland” mit Maschinenapokalypse
Wer “The Matrix” aufs Wesentliche eindampft, stößt auf das Motiv “Person entdeckt eine verborgene Welt, wird auserwählt, überschreitet Grenzen und stürzt ein tyrannisches System.” Das ist so verrückt wie der Hutmacher in “Alice im Wunderland,” nur dass Neo keine Teeparty feiert, sondern Kugeln ausweicht, Kung-Fu lernt und mit Sonnenbrille und Ledermantel die Realität hackt. Follow the white rabbit.
The Magnificent Seven – “Seven Samurai” auf Western gemacht
“Die glorreichen Sieben” nimmt Akira Kurosawas “Seven Samurai” und schiebt die Handlung vom feudalen Japan ins Western-Setting. Gleiche Grundidee: Ein Dorf wird von Banditen drangsaliert, sieben kampferprobte Männer stellen sich schützend davor. Es ist eins zu eins übernommen, nur mit Cowboyhut statt Samurai-Dutt.
The Hunger Games – “Battle Royale” mit Mainstream-Politur
Suzanne Collins bestreitet es, viele Fans sehen’s anders: “The Hunger Games” hat frappierende Parallelen zu “Battle Royale” oder “Herr der Fliegen”. Jugendliche werden in einer Arena abgesetzt, müssen sich gegenseitig ausschalten, bis nur einer übrig bleibt. “Battle Royale” war brutal, japanisch-düster und polarisierend, “The Hunger Games” garniert das Ganze mit Hollywood-Glamour und einem Rebellions-Meta-Plot. Kern ist derselbe: Kill or be killed.
Die sieben Grundplots nach Christopher Booker: Alte Archetypen, neue Gewänder
Der britische Journalist und Autor Christopher Booker beschreibt in seinem Werk The Seven Basic Plots, dass die meisten Geschichten sich auf sieben wesentliche Plot-Muster zurückführen lassen. Auch wenn andere Filmwissenschaftler gerne fünfzehn, zwanzig oder mehr Archetypen postulieren, haben sich Bookers sieben Grundformen weitläufig etabliert. Werfen wir einen Blick auf jede einzelne:
1. Überwindung des Monsters
Hier wird ein bedrohliches Übel, ein “Monster,” von einem Helden oder einer Heldin bekämpft. Ob es sich um einen Drachen, einen Tyrannen oder Mr. The Plague aus “Hackers” handelt, ist nebensächlich. Wichtig ist, dass der Held am Ende das Monster besiegt. Beispiel: “Jaws” – der weiße Hai ist das Ungetüm, das überwunden werden muss. Oder “Godzilla” (diverse Versionen), wo regelmäßig gigantische Echsen und Motten in Schach zu halten sind.
2. Vom Tellerwäscher zum Millionär (Rags to Riches)
Der klassische Aufstieg vom Niemanden zum Jemand. Ein armer Schlucker, oft mit großem Herzen, wird am Ende reich oder mächtig und besiegt damit die Ungerechtigkeit der Welt. “Cinderella” ist wohl das Paradebeispiel. Im Filmbereich könnte man “Slumdog Millionaire” anführen, in dem Jamal aus den ärmlichsten Verhältnissen Indiens kommend zum Millionengewinner wird. Big Lebowski schafft es nur spirituell.
3. Die Quest (Die Suche)
Der Protagonist muss einen gefährlichen, aufregenden Weg auf sich nehmen, um ein bestimmtes Ziel oder Objekt zu finden – der “heilige Gral” in welcher Form auch immer. Der Klassiker ist “Der Herr der Ringe,” wo Frodo den Ring zum Schicksalsberg bringt – eine Mischung aus Quest und Zerstörung eines Monsters. Filme wie “Indiana Jones” spielen auf dieselbe Klaviatur: Das Artefakt ist das Ziel, und der Weg dorthin ist gepflastert mit Fallen, Nazis und Schlangen. Ausgerechnet Schlangen.
4. Reise und Rückkehr
Hier geht es darum, dass ein Held in eine fremde Welt gezogen wird und nach Abenteuern wieder heimkehrt. Das kann fantastisch oder realistisch sein. “Der Zauberer von Oz” (1939) ist ein typisches Beispiel: Dorothy reist nach Oz und will wieder zurück nach Kansas. “Tron” (1982) ein moderner Kandidat: Flynn gelangt in die digitale Welt und findet den Weg zurück.
5. Komödie
Comedy in Bookers Sinn ist weiter gefasst als bloßer Klamauk: Es geht um ein happy end in einer oft verworrenen Situation, wo Missverständnisse, Verwechslungen und Intrigen aufgeklärt werden. Shakespeare gehört hier natürlich zu den Großmeistern: “Ein Sommernachtstraum” oder “Viel Lärm um nichts” sind Beispiele. Im Film könnte man “ALF – Der Film” anführen, das letztlich auf ein großes, freudiges Finale zusteuert, nachdem alle gesellschaftlichen Stolpersteine überwunden sind.
6. Tragödie
Im Gegensatz zur Komödie endet die Tragödie zumeist in Tod, Verderben oder moralischem Verfall. Der Held scheitert und geht unter. Klassiker sind Shakespeares “Macbeth” oder “Hamlet.” Im Kino wäre “Requiem for a Dream” so ein finsteres Beispiel, bei dem niemand ein glückliches Ende erlebt. Auch “Scarface” läuft darauf hinaus, dass der Held an seiner eigenen Hybris zugrunde geht.
7. Wiedergeburt
Hier geht es um eine Art spirituelle oder tatsächliche Auferstehung des Protagonisten. Er durchlebt einen jähen Fall, stirbt vielleicht sogar symbolisch oder körperlich, um dann geläutert zurückzukehren. Genau hier passt “The Crow” hervorragend: Eric Draven wird tatsächlich getötet und kehrt als Rächer zurück. Genauso “Robocop,” wo Murphy erst sterben muss, um zum Cyborg-Polizisten zu werden. Aber auch Disney-Filme wie “Die Schöne und das Biest” bedienen sich dieses Plots, indem das Biest am Ende wieder zum Prinzen wird – also buchstäblich wiedergeboren, befreit vom Fluch, wie Captain Jack Sparrow.
Die Magie dieser sieben Grundpläne liegt darin, dass sie sich immer neu mischen und verschleiern lassen. Mal hat ein Film mehrere dieser Motive gleichzeitig, mal weicht er von der strikten Vorlage ab. Aber im Kern bleibt die menschliche Faszination für Aufstieg und Fall, Sieg über das Böse, Liebe oder bitteres Scheitern immer unverändert.
Statistik, Studien, Splatter und andere Spielereien
Vielleicht fragt ihr: “Ist das alles nur ein Gefühl, dass Hollywood stets die gleichen Stories recycelt?” Nein, es gibt tatsächlich diverse Filmwissenschaftler, die das Phänomen untersuchen. Christopher Booker ist nur ein Beispiel. Andere Akademiker sprechen von “monomyth” (Joseph Campbell), “Drei-Akt-Struktur” und “Heldenreise,” die praktisch überall lauern.
Christopher Booker in “The Seven Basic Plots” argumentiert, dass all diese Erzählweisen auf tief verwurzelten Mythen unserer menschlichen Psyche beruhen. Wir wollen stets, dass ein Held das Monster besiegt, weil es uns instinktiv an den uralten Kampf gegen unsere Urängste erinnert. Wir mögen “Tellerwäscher wird Millionär,” weil uns das Hoffnung gibt, dass unsere eigene kleine Welt transzendierbar ist. Und die “Wiedergeburt” – ob spirituell oder physisch – war schon in antiken Kulturen ein zentrales Thema (siehe Osiris, Phoenix, Persephone usw.).
In Studien zur Publikumszufriedenheit zeigt sich zudem, dass wir Zuschauer uns in vertrauten Strukturen wohler fühlen. Wir erwarten einen Helden, der sich auf eine Reise begibt und am Ende geläutert (oder gehärtet) zurückkehrt. Wenn wir zu sehr aus der Bahn geworfen werden – etwa durch offene Enden oder surreale Plot-Zerfetzungen – reagieren wir verwirrt. Natürlich liebt ein Teil des Publikums Avantgarde-Kino, doch der Mainstream schlürft lieber das bekannte Muster.
Splatter oder High-Budget-Action geben dem Ganzen schließlich den brachialen Schauwert, den wir in dunklen Kinosälen so genießen. Ein Mann, der seine Gitarre gegen Schurken einsetzt (The Crow)? Ein Cop, der seine biologischen Reste in einen Titan-Anzug steckt und Fieslinge pulverisiert (Robocop)? Ein Erfolgskonzept wird x-fach kopiert, bis niemand mehr Bock drauf hat. Dann lassen wir es dreißig Jahre ruhen, und zack, “Reboot” oder “Remake”.
Anyway
“The Crow” als “Robocop für Goths” zu bezeichnen, ist also nicht bloß eine popkulturelle Petitesse, sondern in seiner Essenz ziemlich treffend: zwei Helden, ein Schicksal, ähnliche Motive – in verschiedenfarbiger Optik. Unsere Filmindustrie ist wie ein gigantisches Kostümverleih-Festival, das uralte Geschichten immer wieder neu einkleidet, um uns ins Staunen zu versetzen.
Doch vielleicht steckt darin auch ein Stückchen Magie: Geschichten sind nun mal universell. Man muss es fast bewundern, wie dreist und doch erfolgreich dieses Dauer-Recycling funktioniert. Das Drehen an Kostüm, Setting und Stilmitteln ist ein ewiges Spiel. Genau das lieben wir, ob wir’s zugeben oder nicht. Es kann ja nicht immer regnen.
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