Das Knistern des 56k-Modems rauscht durch die Telefonleitung, während auf MTV ein hyperaktives Musikvideo läuft, in dem bunte Comic-Schriftzüge und die Spice Girls um die Wette schreien. Auf deinem Schreibtisch türmen sich Limit-Hefte, Game-Boy-Spiele und irgendwo dazwischen liegen zweihundertundzwanzig AOL-CDs, die 5000 Stunden kostenloses Internet versprechen. Willkommen in den 90ern, Baby!
Und irgendwie haben wir es geschafft, alle, ohne uns abzusprechen, am gleichen Tag vor dem Fernseher zu sitzen, um uns Hackers (1995) reinzuziehen.

In diesem Jahrzehnt existiert ein Konflikt, so episch wie Batman vs. Joker, nur mit mehr Rollen unter den Füßen: Skateboard gegen Inliner. Und als ob das nicht schon genug Zündstoff wäre, kam 1995 ein Film namens Hackers in die Kinos, der diese Rivalität auf die Spitze treibt. Hier treffen unsere jungen 90er-Cyberpunks auf den fiesen Gen-X-Bösewicht „The Plague“, der ausgerechnet – festhalten! – Skateboard fährt. Ein Brett als Symbol der alten Garde? Inline-Skates als Insignien der digitalen Revolution?
Warum ein einfacher Rollenkonflikt einen Generationenkrieg auslöste
Die 90er waren das Jahrzehnt, in dem die Welt einen krassen Umbruch erlebte. Modems piepten, Pager brummten und man sprach das Wort „Cyberspace“ aus, als wäre es der Schlüssel zur digitalen Revolution. Gleichzeitig clashte eine Generation, die in den 80ern aufgewachsen war, Gen X, mit der nachwachsenden Millennial-Meute, die gerade erst lernte, dass man beim Internet-Surfen nicht nass wird.
Wo, fragt man sich, haben sich diese Spannungen im Alltag gezeigt? Nun, neben Baggy-Pants, CD-Brennern und Klingeltonwerbung hat sich ein ganz banaler Gegenstand zum Sinnbild des Generationenkampfs gemausert: Das Fortbewegungsmittel auf Rollen.
Die Hackers-Helden – Inline, Internet und impulsive Innovation
Hackers (1995) zeigt eine Meute Tech-Enthusiasten: Dade „Zero Cool“ Murphy (Jonny Lee Miller), Kate „Acid Burn“ (Angelina Jolie) und ihre bunt gemischten 1337-h4x0r5.
Diese Crew lebt für und im Cyberspace, während andere noch über Schulhof-Klatsch und Kassettenrekorder reden.
Sie surfen in Datennetzen, als wäre das World Wide Web ein glühender Asphalt. Stilecht zischen sie durch die Straßen von New York, tänzeln durch Subway-Stationen, immer perfekt ausgeleuchtet von blitzenden Neonröhren. Klar, es ist Hollywood-Hackerei in Reinkultur: Jede Firewall wird mit zwei Mausklicks und einer psychedelischen 3D-Animation geknackt. Aber wer kümmert sich schon um Realismus, wenn man so stylisch sein kann?
Diese jugendlichen Virtuosen atmen den Geist der „Anything goes“-90er:
Rave-Musik pulsiert durch die Boxen, Computerbildschirme flackern wie Discokugeln und alles ist irgendwie frisch, elektrisch, leet. Hackers versprüht den Charme einer Generation, die fest daran glaubt, dass Technologie sie zu Helden macht. Und was verstärkt diesen Vibe noch? Inline-Skates als Symbol eines rasanten, zukunftsorientierten Lifestyle.
The Plague und das Skateboard als Surrogat der Alt-Rebellion

Schwenken wir zum großen Widersacher der jungen Hacker-Crew:
Eugene „The Plague“ Belford.
Gespielt von Fisher Stevens ist er in der Konzernwelt unterwegs, dealt mit Millionen, manipuliert Börsen, lässt die FBI-Fäden tanzen und – rollt lässig auf einem Skateboard durchs Hochhaus-Büro.
In einem anderen Film wäre der Typ wohl der Big Boss mit Nadelstreifenanzug. Doch Hackers wählt einen völlig anderen Ansatz: The Plague ist kein 08/15-Yuppie, er ist ein Gen-Xer, der sich den Anstrich eines ewig-jungen Outlaws bewahren will. Er trägt sein Brett wie eine Mischung aus Zepter und Altersnachweis, wenn er durch sterile Firmenflure rollt, um Business-Heinis zu erschrecken. Er markiert den Bad Boy, den Punk, der nicht erwachsen werden will – aber in Wahrheit komplett im System steckt. Er arbeitet für denselben Konzern, den die Hacker stürzen wollen.
Warum ist das so wichtig?
Weil Skateboarding in den 80ern und frühen 90ern als ultimatives Rebellionstool galt: Thrasher-Magazine, Tony Hawk, Independent Trucks, laute Punkmusik in Hinterhoframps. Doch im Film repräsentiert es plötzlich das Establishment.
The Plague ist die schwarze Seele der Gen X, die einst revolutionär war, jetzt aber ihren Protest an die Konzernbosse verkauft hat. Wenn er über den Flur rollt, spüren wir: Hier will jemand jung und edgy wirken, während er gleichzeitig versucht, die aufstrebenden Hacker (und ihre Inline-Skates) zu ersticken. Ein Symbol dafür, wie schnell sich ein einst „rebellisches“ Item in den Händen falscher Leute in ein Abzeichen der Arroganz verwandeln kann.
Neon, Noise, Nostalgie – Der popkulturelle Pulverfass-Faktor
Man kann die 90er nicht ohne Neon beschreiben. Egal, ob man an Raves, viel zu laute Klamotten, Videospiel-Arcades oder Cartoon-Intros denkt – alles war overkill. Das Jahrzehnt war eine einzige Party, bei der Grunge, Techno, Hip-Hop und Eurodance nebeneinander existierten. Popkultur pumpte uns mit MTV-Clips voll, als wären wir aufblasbare Sessel, während jeder zweite Werbespot behauptete, sein Produkt sei ein „Must-have for the new generation!“
Wer will auf schnöden Skateboards herumklappern, wenn man sich mit High-Speed-Skates elegant durch die Nacht bewegen kann, eingetaucht in flackerndes Pink, Blau, Grün?
Das fingerdick aufgetragene Techno- und das Rave-Ambiente im Soundtrack (z. B. The Prodigy, Underworld) setzt noch einen drauf. Skateboards wurden in anderen Filmen (und in der Realität) eher von Rock- und Punkmusik begleitet. Da wir hier jedoch von ein paar forward-fokussierten Hacker-Dudes reden, brauchte es die pulsierenden Beats der Dance-Floor-Szene. Und Inline-Skates repräsentieren eben den nahtlosen Flow, der besser zum unaufhaltsamen Takt eines 90er-Techno-Tracks passt.
Wenn Skater auf Blader treffen
Außerhalb des Kinos war die Rivalität Skateboard vs. Inline fast genauso explosiv wie auf der Leinwand. Skateboarder sahen sich als toughe Street-Ritter, die sich mit aufgeschlagenen Knien und zerfetzten Hosen die Rampen eroberten. Inliner – so die Skateboard-Kritik – seien nur „Weicheier“, denen man das ganze Knie- und Handgelenkschoner-Ensemble anmerkte. Und sowieso sei Inlinen ein kurzlebiger Trend, der von Fitness-Freaks und Familienvätern hochgejubelt werde.
Auf der anderen Seite bekamen Inliner nicht genug davon zu betonen, wie viel schneller und agiler sie seien. Skateboarder – das waren für sie die schrumpligen Gen-X-Überbleibsel, die feststeckten in einem Punkrock-Paralleluniversum.
Egal, ob in Skateparks oder auf nächtlichen City-Strecken: Die Fronten waren verhärtet. Während Skateboarder an Tech-Tricks feilten (Kickflip, Boardslide, 360 Varial), versuchte man bei Inlinern, mit Fancy Grinds und waghalsigen Stunts (Soul Grind, Frontside Unity) zu glänzen.
Hackers griff diesen realen Konflikt auf, indem es den Skateboard-Charakter mit dem fiesen Konzern blendet und die Inliner als spaßverrückte Zukunftsrebellen darstellt. Ein cleverer Zug, der die Zündschnur des Straßenkampfes weiter verkürzte: Plötzlich stand Skateboard nicht mehr nur für Subkultur, sondern – in den Augen einiger Kids – für den Ausverkauf an die falsche Generation.
Die Macht der Medien – warum Sitcoms, Soundtracks und Spiele Öl ins Feuer gossen
Dann war da die Videospielwelt: Das Jahr 1999 brachte Tony Hawk’s Pro Skater, einen Meilenstein, der Skateboarden auf Konsole und PC zum Massenphänomen erhob. Zwar kam Aggressive Inline (ein Game, das Inliner-Tricks thematisierte) 2002 auch auf den Markt, doch es erreichte nie dieselbe Strahlkraft.
So wurde aus einer simplen Frage nach „Brett oder Kufen?“ eine popkulturelle Identitätskrise.
Ein Film wird zur Fackel – Hackers als Symbol der 90s Utopie
Klar, Computerhacken und Inlineskaten scheinen auf den ersten Blick so zusammenzupassen wie Käsefondue und Strandurlaub – aber Hollywood macht’s möglich. Das Ergebnis war ein surrealer Mix aus Technobeats, rasanten Rollschuh-Chases und Hacker-Dialogen, die jedem echten IT-Profi Lachtränen in die Augen treiben würden.
Doch egal, wie unrealistisch die Codeszenerie auch sein mag: Die Kernbotschaft kam an. Hier sind junge Menschen, die nicht nur in Datenbanken aus Glas spazieren gehen, sondern auch mit quietschenden Rollen durch die City cruisen. Kurzum: Ein Idealbild von Freiheit und Geschwindigkeit.
Fakten, Forschung, Fatalismus – Kurzstatistik und Kulturknall
Ihr wollt Zahlen? Ihr bekommt Zahlen! Laut der National Sporting Goods Association (NSGA) stiegen die Zahlen der Inlineskater in den USA in den 90ern von rund 5 Millionen auf über 27 Millionen. Ein Hype, der letztlich sämtliche Verkaufsrekorde bei Sportgeschäften pulverisierte. Skateboarding war in den frühen 90ern erst auf einem Abwärtstrend und stabilisierte sich dann. So mancher Skateshop befürchtete bereits, dass die Bretter-Ära vorbei sei.
Erst ab 1995 (Start der X Games) und vor allem ab 1999 (Veröffentlichung von Tony Hawk’s Pro Skater) konnte sich Skateboarding wieder mit neuer Power aufstellen. Doch genau in dieser Zwischenphase – sozusagen zwischen Rockmusik-Restewelle und dem großen Skater-Revival – platzierte sich Hackers wie ein greller Scheinwerfer.
Klar, in der Realität entwickelte sich das Ganze differenzierter. Viele „Aggressive Inline“-Enthusiasten versuchten sich an Grinds und Rampen, doch die Skate-Kultur blieb dank harter Kern-Fans am Leben. In den 2000ern kehrte sich das Momentum wieder Richtung Board, bis Inliner vor allem im Fitnessbereich populär wurden. Trotzdem bleibt die 90er-Phase der ultimative „Moment of Glory“ für Inliner, befeuert von Filmen wie Hackers und allerlei Werbekampagnen, die das Bild vom smoothem Future-Gleiten prägten.
Finale Erkenntnisse – Hat sich das Brett der Boomer bewährt oder rollten Inline-Kids davon?
Heute ist Skateboarding olympisch, genießt globalen Respekt und hat Pro-Skater hervorgebracht, die Millionendeals an Land ziehen. Inlinern hingegen haftet der Ruf an, irgendwann in den 2000ern wieder abgeschwächt zu sein, um später – im Fitness- und Urban-Freizeit-Bereich – zurückzukehren.
Heißt das, dass Skateboard gesiegt und Inliner das Nachsehen haben? Nö. Eher haben wir eine natürliche Evolution gesehen: Das Board hat seinen Platz in der Action-Sportwelt gefestigt und die Inliner landeten in einem etwas breiteren Publikum, das auf Herz-Kreislauf-Training und abendliche City-Cruises steht. Gleichzeitig existiert eine lebendige „Aggressive Inline“-Szene, die zwar kleiner, aber sehr engagiert ist.
Und Hackers? Der Film bleibt ein Denkmal, in dem Eugene „The Plague“ Belford als Skateboard-Cowboy auftritt – ein Gen-X-Widersacher, der sich dem High-Tech-Eifer junger Inline-Hacker entgegenstellt, er wirft einen neonfarbenen Schatten, der noch Jahre später awesome blinkt.
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